Inklusion fängt in den Köpfen an
von Thomas Müller
Sind wir Menschen so durchschaubar, so gläsern, so was von transparent? Ich glaube nicht.
Menschen mit Behinderungen, geflüchtete Menschen, Menschen mit anderer Hautfarbe, Menschen die etwas mehr Gewicht mit sich rum tragen oder, oder, oder …
Alle diese Personen werden grundsätzlich nur auf das reduziert was beim Gegenüber als erstes ins Auge fällt. Behinderte, Flüchtlinge, Schwarze, Dicke. Klingt nicht schön, oder? Erstaunlich, erschreckend finde ich es, dass mein Gegenüber, ohne mit mir ein Wort gewechselt zu haben, sich ein eigenes Bild über mich gemacht zu haben scheint. Wie kann das sein?
An manchen Tagen denke ich, dass Menschen uns aus purer Bequemlichkeit nur auf das Offensichtliche reduzieren und uns so nennen. Oder es hat sich ganz einfach so eingebürgert. Vielleicht ist es dann gar nicht so schlimm. Doch, es ist schlimm. Ich möchte nicht päpstlicher als der Papst sein, aber Worte haben Bedeutung. Jedes Wort, das man sagt, hat Bedeutung, sonst könnten wir uns gar nicht verständigen und verstehen.
Was ich damit sagen will, ist, dass wir uns alle ein kleines bisschen mehr Zeit nehmen sollten, um darüber nachzudenken, wie man sich artikuliert. Respektvoll oder verletzend. Es ist ein kleiner Unterschied, aber sehr entscheidend für den Umgang miteinander. Wenn sich zwei Menschen unterhalten, und ich höre dieses: „die Behinderte, die Behinderten“, brodelt es in mir. Da denk ich mir, warum nimmt man sich nicht die Zeit und sagt stattdessen „die Frau im Rollstuhl“ oder ähnliches. Warum wählt man immer den Weg des geringsten Wiederstands, auch in der Sprache?
Personen mit Behinderung sind Menschen. Menschen, die sogar einen Namen haben mit dem man sie ansprechen könnte. Viel einfacher ist es offensichtlich, „die Behinderten“ zu sagen. Dass das sehr abwertend ist, kümmert wenige. Die Reduzierung auf die Behinderung ist leider oft gleichbedeutend mit „zu nichts zu gebrauchen“. Wenn ich höre, dass ich als „Die Behinderte“ betitelt werde, schreit mein Inneres: „Wehre dich, sag was. Sag dass du nicht deine Behinderung bist!“ Aber mein Verstand setzt gleich zur Warnung an: „Sag besser nichts, du weißt was für eine Antwort gleich kommt.“ – „Was willst du, du bist doch behindert!“ sagen die nicht behinderten Menschen. – „Das willst du nicht hören, oder?“ erinnert mich mein Verstand. Es wird nichts nützen, wenn ich das sage. Es werden nur noch mehr Unverschämtheiten dazu kommen. Ich wollte nur eine Sache gerade biegen, aber das Ganze endet im Streit.
Ihr solltet uns nicht wie rohe Eier behandeln, das sind wir nicht. Das wollen wir gar nicht sein und auch nicht werden. Wir möchten nur drauf hinweisen, dass es sehr wohl einen Unterschied gibt, wie man uns nennt. Nämlich, ob man sagt: „Die Behinderten“ oder „Menschen mit Behinderungen.“ Wir sind Menschen mit Einschränkungen in welcher Art und Weise auch immer, aber eben nicht unsere Behinderung selbst. Ich weiß nicht, wie es den Menschen ohne Behinderung geht, aber wenn man sie nur auf Grund ihres z.B. etwas fülligen Körperbaus als „Dicke“ reduzieren würde, hätten sie bestimmt was dagegen. Wenn man eine bestimmte Gruppe von Leuten nur auf ihre sexuelle Orientierung begrenzt betiteln würde, ist das auch nicht menschenwürdig.
Lange Rede, langer Text – kurzer Sinn. Im Namen der Menschen, die vielleicht nicht unbedingt der Norm dieser Welt entsprechen. Eine Bitte an die Menschen da draußen: Gebt euch ein bisschen Mühe in der sprachlichen Ausdrucksweise mit euren Mitmenschen. Für mich fängt die so genannte Inklusion an, wenn wir erreicht haben, auf gleicher Ebene auf respektvolle Art miteinander umzugehen. Wir wollen nicht „die Behinderten“ genannt werden weil wir nicht die Behinderung selbst sind. Bitte nehmt euch etwas Zeit und fügt zu „die Behinderten“ noch „Menschen“ dazu. Damit seht ihr uns als das, was wir sind. Menschen. Menschen mit Behinderung.
Bild von Richard Reid auf Pixabay