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von Jasper Gaude
Die Ernst-Barlach-Schule setzt Motive aus dem Schach in Szene
Am 25. 7. 2018 führte die Theater-AG der Ernst-Barlach-Schule das Jugendmusical Schach 2.0 von Andreas Schmittberger auf. Damit zog sie alle Zuschauer in ihren Bann.
Ein Junge und ein Mädchen spielen Schach. Während des Spiels diskutieren sie darüber, dass es sich eigentlich um ein Kriegsspiel handelt und ob auf dem Schachbrett nicht auch Prinz und Prinzessin nötig sind. Diese Rahmenerzählung geht über in die Geschichte von Prinzessin Luna aus dem Land der Weißen, die von ihrer Strengen Mutter gezwungen wird, Prinz Zero aus dem Land der Schwarzen zu heiraten. So sollen die Reiche vereint und ein Krieg verhindert werden. Zeros Familie verfolgt diesen Heiratsplan auch für ihn. Beide Königskinder haben den jeweils anderen nie zu Gesicht bekommen, sind aber felsenfest überzeugt, dass sie nie heiraten wollen, und schon gar keinen Feind. Spontan entschließen sie sich, ihren goldenen Käfigen zu entfliehen. Hierfür nehmen sie jeweils eine Vertrauensperson mit: Zero seinen Freund Valerio, Luna ihre Amme. Nach sechs Wochen auf der Flucht treffen sich die vier zufällig, und Luna und Zero verlieben sich auf Anhieb ineinander. Durch das lückenlose Sicherheitsnetz ihrer beider Staaten werden sie aufgespürt, vor das weiße Königspaar gebracht und zum Tode verurteilt. Zum Schluss werden die Eltern aber weich, und das Musical findet ein gutes Ende.
Schach 2.0 basiert auf Georg Büchners Lustspiel Leonce und Lena, aus dem einige sehr anspruchsvolle Textpassagen übernommen wurden. Die Rollen hat Spielleiterin Sabine Fries‑Altmann den Darstellern wieder einmal auf den Leib geschrieben. Wer Jakob Leffler in seiner Rolle als weißer König deklamieren hört: „Die Substanz ist das ’An-Sich‘, das bin ich!“, der sieht sofort Ludwig XIV vor sich. Und wer Lisa Marie Mohr und Matti Buchner beim Ausleben ihres rebellischen Temperaments und später ihres Liebesglücks erlebt, wird an seine eigene Pubertät erinnert.
Außerdem wurde die Vorlage durch viele eigene Ideen beeinflusst. Begeistert hat mich etwa, dass Lunas Teddy, eigentlich nur ein Requisit, zu einer handelnden Person umfunktioniert wurde, die den Zuschauer über die Selbstsucht der Prinzessin in Kenntnis setzt und mit Anna Okunev wunderbar besetzt war. Das Stück Offenes Buch, das auf den Überwachungsstaat anspielt, wurde durch eine gekonnte Showtanzperformance zu Wings von Little Mix ersetzt, das sich mit dem Thema Flüggewerden befasst. Für Übersicht sorgte eine Erzählerin, die die einzelnen Szenen einleitete. Auch dass die Schachspieler die Haupthandlung träumen, war ein Einfall der Theater-AG. Gegen Ende verlaufen die beiden Traumsequenzen unterschiedlich. Der Traumschluss des Jungen hält sich weitgehend an die Vorlage: Die weiße Königin zeigt auf skurrile Weise Mitgefühl und behauptet, so verwahrlost wie die Verräter aussähen, seien sie doch nicht Prinz und Prinzessin, sondern „niemand“. Da man „niemand“ nicht verurteilen kann, lässt sie sie frei und gibt den jungen Leuten ihren Segen für ein selbstbestimmtes Leben außerhalb des Palastes. Sie selbst gibt ihre Position allerdings nicht auf, hat sie doch „diese Rolle schon viel zu lange gespielt“. Valerio und die Amme, die Zero und Luna um ihr Luxusleben beneidet haben, werden von den Königsfamilien adoptiert und nehmen die Stellungen von Prinz und Prinzessin ein. Der weiße König, erzürnt, dass seine Frau die eigentliche Entscheidungsgewalt besitzt, macht zu Mark Forsters Au Revoir „‘n Abflug“.
Das Traumende des Mädchens verläuft romantischer: Plötzlich ist Valerio zu Valeria geworden, und sie und die vorher namenlose Amme, die jetzt Marie heißt, gestehen sich gegenseitig ihre Liebe. Der weiße König ist darüber gerührt. Er nimmt Valeria und Marie ebenfalls als seine Kinder an, und Luna und Zero bleiben am Hof. Bei einer Doppelhochzeit liegen sich zu Auf uns von Andreas Bourani alle in den Armen.
Schauspielerisch, gesanglich und tänzerisch hat die EBS wieder einmal überzeugt. Auch die in Eigenarbeit gestalteten Bühnenbilder erzeugten im Kopf genau die richtigen Vorstellungen. Mein Fazit: Wenn Ideenreichtum eine Droge ist, darf die Theater-AG der Ernst‑Barlach‑Schule nie einen Entzug machen.