Meine Arbeit ist vielfältig
von Katharina Müller
Alexandra Goedeke:
Frau Dirmhirn, Sie gelten ja schon als Pfennigparaden-Urgestein. Welche unterschiedlichen Stationen haben Sie auf Ihrem Karriereweg insgesamt durchlaufen?
Anja Dirmhirn:
Ich kam vor über 25 Jahren, im September 1999 zur Pfennigparade. Begonnen hatte ich damals als Assistenz der Geschäftsführung der Pfennigparade PSG, BKG und SIGMETA, also der Besonderen Werkstatt und der Inklusionsfirma hier in der Pfennigparade. Das gehört auch zur Lebenswelt Arbeit.
Nicht zu den Lebenswelten Wohnen, Bildung, Gesundheit oder Freizeit. Dort ist manches ähnlich wie im ChancenWerk. Aber der große Unterschied zum ChancenWerk ist, dass keine Refinanzierung für die Besondere Werkstatt und die Inklusionsfirma vorgesehen ist. Dort arbeiten etwa 350 Beschäftigte vorwiegend mit, aber auch ohne Körperbehinderung. Sie sind alle Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen mit qualifizierten Ausbildungen, aber im Vergleich zum ChancenWerk mit leichteren körperlichen Einschränkungen. Da es keine Finanzierung über Kostenträgererlöse gibt, bedeutet dies, dass alle Personal- und Sachkosten aus den verkauften Dienstleistungen finanziert werden müssen.
Dort habe ich 25 Jahre gearbeitet. Zunächst als Abteilungsleiterin. Das ist so ähnlich wie Gruppenleiterin hier. Dann nacheinander als Leiterin der Bereiche IT-Dienstleistungen, Dokumentenservice und Kaufmännische Dienstleistungen. Seit 2020 war ich Geschäftsführerin der Besonderen Werkstatt und der Inklusionsfirma. Auch dort habe ich mit einem zweiten Geschäftsführer zusammengearbeitet. Das ist in der Pfennigparade ja in allen Bereichen so. Letzten Sommer dachte ich schließlich, ich verändere mich noch mal. Und da Frau Hoelbe kurz vor dem Renteneintritt war, konnte ich diese neue Herausforderung zum 1. Juli 2024 antreten.
Alexandra Goedeke:
Die Pfennigparade war ja nicht Ihr ursprünglicher Berufseinstieg. Inwiefern hat sich Ihr Arbeitsumfeld verändert, seit Sie im Berufsleben stehen?
Anja Dirmhirn:
Sie wollen also wissen, wo ich beruflich herkomme und wie der Übergang zu diesem besonderen Arbeitsumfeld verlaufen ist? Dann fange ich vielleicht mal ganz am Anfang an. Ich habe schon als Jugendliche sehr viel im sozialen Bereich volontiert. In der siebten, achten Klasse war ich einen Sommer lang in der Blindenschule am Wintrichring. Außerdem habe ich in Südfrankreich mehrere Sommer Feriencamps für Kinder mit Behinderung begleitet.
Ich habe einfach schon immer ein großes Interesse am Kontakt und Austausch mit Menschen mit Behinderung gehabt. Weil ich auch recht begabt in Fremdsprachen war, habe ich Diplom-Kulturwirtschaft in Frankreich und Deutschland studiert. Das ist eine Verbindung aus drei Fremdsprachen, Wirtschaftswissenschaften und geisteswissenschaftlichen Fächern eines Kulturraums, in meinem Fall des frankophonen Raums. Mit der Zeit habe ich aber gemerkt, dass ich die Kurve zurück in den sozialen Bereich finden wollte.
Also habe ich zum Abschluss meines Studiums meine Diplomarbeit über die schulische Integration von Kindern mit Behinderung im französischen Schulsystem geschrieben. Die sozialen Strukturen gehören schließlich auch zu jedem Kulturraum dazu, genau wie die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Strukturen. Anschließend bin ich nach Frankreich gegangen und habe dort sechs Monate im Sozialpolitik-Referat des Europarats gearbeitet. Danach war ich zwei Jahre lang in einer Organisation für Menschen mit geistiger Behinderung.
Eine große französische Organisation, ein bisschen wie die Lebenshilfe in Deutschland, deren Fokus auf Menschen mit geistiger Behinderung liegt. Insbesondere habe ich mich um die Inklusion von Menschen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gekümmert. Wir haben Praktika organisiert und für die Personen Arbeitsverträge verhandelt. Bei einem Besuch daheim in München habe ich irgendwann meinen zukünftigen Mann kennengelernt. Seinetwegen bin ich, nach neun Jahren im Ausland, wieder nach München gekommen und habe mich bei der Pfennigparade beworben. Auch soziale Strukturen müssen ja wirtschaftlich gemanagt werden, damit sie funktionieren. Und so schließt sich der Kreis. Und ich bin bis jetzt geblieben.
Alexandra Goedeke:
Wow. Das klingt komplex und spannend. Wir haben außerdem gehört, dass es in Ihrer Familie einige 1860-Fans gibt. Lässt sich also zusammenfassend sagen, Ihr Herz schlägt für stille Helden und Heldinnen, und Herausforderung ist Ihr Lebensmotto?
Anja Dirmhirn:
Hey, cool! da haben Sie Recht. Ich, rein persönlich, bin zwar kein Fußballfanatiker, aber mein Mann und mein Sohn sind absolute 1860-Fans. Die müssen sehr viel Leid und Herausforderung durchleben, weil es natürlich nicht so leicht ist, für den Underdog zu sein. Was mich betrifft, so ist mir eine sinnstiftende Aufgabe extrem wichtig. Ich kann mir nicht vorstellen, für ein großes Wirtschaftsunternehmen zu arbeiten, deren größtes Ziel ist, immer schneller, weiter, größer, umsatzstärker zu werden. Man muss aber wirtschaftlich denken, um soziale Strukturen auf sichere Füße zu stellen. Irgendwo haben wir also alle ein Herz für stille Helden und Heldinnen und befassen uns mit Herausforderungen. Wenn auch auf unterschiedliche Weise.
Alexandra Goedeke:
Unsere Werkstatt heißt ja jetzt inzwischen ChancenWerk. Im Moment verändert sich dort einiges. Was hat sich insbesondere in der WKM, jetzt ChancenWerk, während Ihrer Zeit hier verändert?
Anja Dirmhirn:
Ich bin ja erst seit etwa einem halben Jahr im ChancenWerk. Aber die ersten sechs Monate waren für mich schon sehr bewegt, weil im Umfeld der Geschäftsführung einige Wechsel stattgefunden haben. Andreas Kiermaier ist vergangenen Juni ausgeschieden. Bis im Februar 2025 Matthias Messerer kommt, der als neuer kaufmännischer Geschäftsführer mein Tandempartner sein wird, ist es eine etwas unruhige Zeit.
Charlotte Hoelbe und Josef Grimm sind übergangsweise zurückgekommen, um in Teilzeit zu unterstützen, wofür wir ungemein dankbar sind. Das war kein normales halbes Jahr für mich. Was die Veränderung innerhalb der Werkstatt angeht, so dreht sich im Moment viel darum, dass hier Stabilität eintritt. Dass der zweite Geschäftsführer kommt und wir gemeinsam die Zukunft zusammen mit unseren Teams gestalten. Dass wir alles dafür tun, dass sich das ChancenWerk gut weiterentwickelt. In den ersten sechs Monaten im ChancenWerk gab es eigentlich keine großen Veränderungen. Das Ziel war eher Erhalt und das Bestreben, dass alles in ruhiges Gewässer kommt.
Alexandra Goedeke:
Und da sind Sie zuversichtlich?
Anja Dirmhirn:
Natürlich bin ich zuversichtlich.
Und wie! Sollte ich das nicht sein?
Alexandra Goedeke:
Da beneide ich Sie. Zumindest zu Beginn würde ich völlig verkrampfen, wenn ich mit dieser Aufgabe komplett auf mich allein gestellt wäre.
Anja Dirmhirn:
Ich hätte es auch lieber anders gehabt. Das kann ich Ihnen versichern. In einem Tandem, einem Team, arbeitet es sich immer besser. Frau Hoelbe und Herr Grimm helfen und beraten mit ihrem enorm großen Wissen und ihrer Erfahrung, wo sie können. Wir haben es uns auch nicht gerade leichtgemacht, einen Geschäftsführer zu finden, der genau hierher passt. Wir haben intensiv nach jemandem gesucht, der sowohl Werkstatt-Erfahrung als auch junge Dynamik mitbringt. Herr Messerer ist ja erst 33 Jahre alt. Wir hoffen, dass sich aus unseren Kompetenzen ein gutes Tandem ergibt. In dieser Hinsicht bin ich sehr zuversichtlich.
Alexandra Goedeke:
Glauben Sie, dass sich in absehbarer Zeit im ChancenWerk viel ändern wird, sobald alles im Lot ist?
Was muss sich Ihrer Meinung nach auf alle Fälle ändern?
Anja Dirmhirn:
Das ChancenWerk gibt es schon sehr, sehr lange. Das ist eine etablierte Werkstatt für Menschen mit Körperbehinderung. Ich bin fern davon zu sagen:
„Hey, ich komme an, und jetzt geht alles erstmal nach meinem Stiefel.“
Darum würde ich zunächst noch gar nicht sagen, es gibt hier -zig Sachen, die wir unbedingt verändern müssen. Vielmehr müssen wir das, was hier über mehrere Jahrzehnte so gut aufgebaut wurde, gut weiterführen. Aber gleichzeitig müssen wir auch mit der Zeit und der Modernisierung gehen.
Themen wie künstliche Intelligenz oder Assistenzsysteme kommen immer wieder zur Sprache. Es gibt inzwischen eine neue Rahmen-leistungs-Vereinbarung für Werkstätten. Wir werden uns also weiter-entwickeln müssen. Aber ich bin fernab davon, zu sagen: „Boah, hier müssen wir gleich mal -zig Bereiche umkrempeln.“ Auf keinen Fall. So wie es läuft, ist es gut. Hier wird von engagierten Menschen sehr gute Arbeit geleistet. Sowohl bei den Werkstatt-beschäftigten als auch beim Tarif-personal.
Zuerst einmal geht es darum, Stabilität in die Arbeitsprozesse zu bringen und dadurch Zuversicht zu wecken. Natürlich müssen wir uns auch der Entwicklung der Dinge stellen. Die Zeit schreitet voran. Aber hier gibt es nichts, woran es so kränkelt, dass wir tiefgründig Hand anlegen müssen. Ich bin aber offen für Tipps, wenn Sie welche haben. Meistens stelle ich ja die Fragen. Heute dürfen Sie sie stellen.
Alexandra Goedeke:
Jetzt mal so am Rande: Ich habe morgen zum Beispiel mal wieder ein Mitarbeiter-Entwicklungs-Gespräch. So ein fürchterliches, deutsches Bandwurm-Wort. Im englisch-sprachigen Raum gibt es das ja auch. Da nennt sich das Appraisal. Dürfte man das zum Beispiel Wertschätzung nennen?
Oder gibt es da bestimmte Gesetze, die man als Werkstatt einfach nicht umwerfen darf, weil man sich nach Vorgaben richten muss, die bestimmte Behörden und Institutionen des Landes oder Bundes vorgegeben haben?
Anja Dirmhirn:
Gute Frage. Ich weiß nicht, ob das Wort Mitarbeiter-Entwicklungs-Gespräch vorgegeben ist. Es ist ganz sicher vorgegeben, dass es einmal im Jahr ein intensives Gespräch zur Entwicklung der Beschäftigten gibt. Ein Tête-à-Tête im Eins-zu-eins-Gespräch. Das ist ganz wichtig. Beim Tarif-personal, aber auch bei den Werkstatt-beschäftigten.
Ich finde, dabei soll es immer um Wertschätzung gehen. Um Feedback zum Miteinander, zur Leistung und zu neuen Entwicklungs-Chancen. Ich kann Ihnen nicht sagen, ob das Wort vorgegeben ist und man es umbenennen könnte. Man kann es ja mal prüfen lassen, oder?
Wissen Sie es zufällig?
Alexandra Goedeke:
Ich weiß es auch nicht. Ich habe versucht, es herauszufinden, aber manche Recherche ist dann doch etwas schwierig. Ich habe nichts weiter entdecken können und weiß auch nicht, ob man in der Werkstätten-Verordnung oder ähnlichen Gesetzen etwas Entsprechendes finden würde.
Anja Dirmhirn:
Ich kann Ihnen auch nicht sagen, wie man es nennt. Bei Tarif-personal heißt es Mitarbeiter-Jahres-Gespräch. Dass es ein Gespräch geben muss, ist klar. Das ist vorgeschrieben. Und diese Vorschrift ist gut und wichtig. Man kann ja überlegen, ob man es vielleicht schöner nennt. Wie würden Sie es denn nennen? Wertschätzungs-gespräch?
Alexandra Goedeke:
Ja, Wertschätzung oder Wertschätzungs-gespräch ist doch eigentlich ein schönes Wort. Ich weiß nur nicht, ob es allen gefallen würde.
Anja Dirmhirn:
Das ist immer die Frage, gell? Da gehen die Meinungen wahrscheinlich manchmal auseinander.
Alexandra Goedeke:
Ja, das glaube ich auch. Wo wir gerade beim Thema Politik sind: Was sollten wir mit Blick auf die politische Situation in Werkstätten aktuell wissen? Wird es demnächst Neuerungen geben?
Anja Dirmhirn:
Am 19. Februar dieses Jahres wurden wir als Pfennigparade, aber auch andere Personen, vom Bezirkstags-Präsidenten des Bezirks Oberbayern eingeladen. Dort haben wir über das Thema Finanz-Perspektiven gesprochen. Die Haushaltsmittel sind knapp. Und über die nächsten Jahre wird immer wieder Thema sein, wo Einsparungen vorgenommen werden können. Aber da ist nichts konkret. Die Rolle der Geschäftsführung wird in erster Linie sein, dafür zu sorgen, dass wir für die Bedarfe unserer Werkstatt-beschäftigten die entsprechenden Gelder bekommen und gut darüber verhandeln.
Sei es für die Pflege, sei es für die Förderung. Nur so können Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen hier bestmöglich gefördert werden und gut arbeiten. Das Thema Haushaltslage in Bayern und ganz Deutschland wird ein Thema sein. Nicht spezielle Gesetze, sondern hauptsächlich eine Analyse, was wirklich notwendig und was nice to have ist. Für nice to have wird es in Zukunft keine Gelder geben. Und deswegen können wir auch nur Stellen besetzen, die wirklich von den Behörden refinanziert werden. Aber dafür ist eine Geschäftsführung schließlich da, dass sie sich gut aufstellt und gute Argumente hat.
Dass sie gut mit der Agentur für Arbeit und dem Bezirk Oberbayern verhandelt. Außerdem müssen wir die Arbeit, die wir leisten und die Angebote für Werkstattbeschäftigte gut darstellen.
Sie kriegen es ja aus Presse und Fernsehen mit, dass Werkstätten immer wieder stark in der Kritik stehen. Ob es die überhaupt braucht, weil Inklusion ja eine ganz tolle Sache ist. Die Inklusion auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ist aber auch nicht automatisch für jedermann und jede Frau die ideale Sache. Es gibt Menschen, die gern auf den allgemeinen Arbeitsmarkt wollen. Und die sollte man auch weiterhin unterstützen, dass sie den Weg gehen können. Und es gibt Menschen, die sagen, sie brauchen und wollen diesen geschützten Raum der Werkstatt. Sie halten den Druck da draußen nicht aus und wollen sich dem Trubel nicht aussetzen.
Dafür sind Werkstätten meines Erachtens äußerst wichtig, weil der allgemeine Arbeitsmarkt diese angepasste Arbeitsumgebung und die Abläufe und den Schutz oftmals nicht leisten kann. Vielleicht wird es ja in 50 Jahren möglich sein, überall diese angepassten Arbeitsmöglichkeiten zu bieten, sodass auch Menschen mit einer größeren Einschränkung oder mit einer größeren Scheu vor dem allgemeinen Arbeitsmarkt dort gute, sinnvolle, herausfordernde und bereichernde Arbeit leisten können. Zunächst müssen wir uns als Werkstatt aber vermehrt gut aufstellen, um zu sagen, wir brauchen diese Arbeitsplätze für Menschen, die eben nicht raus wollen oder nicht raus können. Dazu hätte ich gerne auch Ihre Meinung.
Alexandra Goedeke:
Ich liebe die Umschreibung „besondere Bedürfnisse“. Insbesondere wenn ich mir mich persönlich anschaue. In der Corona-Zeit gab es hier ja viele Einschränkungen und haufenweise Frustration. Ich habe aber, offen gestanden, „Juhu“ dazu gesagt. Ich wurde von meinem Hausarzt als Risikopatientin eingestuft und durfte von zu Hause aus arbeiten. Und ich habe ja keinen Pflegebedarf. Das heißt, ich konnte manchmal auch dann an einem Projekt arbeiten, wenn eigentlich schon Feierabend war. Ich konnte aufstehen und mich an den Computer setzen.
Ich musste mich dafür nicht zuerst anziehen und aus dem Haus gehen. Ich musste auch nicht wissen, ob ich heute den ganzen Tag über gesund sein würde. Denn wenn ich eine Pause brauchte, konnte ich mich ins Bett legen und nebenbei noch ein bisschen über das Projekt nachdenken. Gut, das kann ich hier im Ruheraum auch machen. Aber dann sind da andere Mitmenschen. Und das ist doch etwas völlig anderes, als wenn man von zu Hause arbeiten kann.
Remote-Arbeitsmöglichkeiten gibt es hier nicht. Auch Gleitzeit und Überstundenmöglichkeiten gibt es nicht. Und als ich dann mit dem Sozialdienst und der Fachbereichs-Leitung gesprochen habe, hieß es: „Das kann nicht so bleiben. Entweder Sie versuchen es jetzt auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, oder Sie müssen so weitermachen wie bisher.“
Anja Dirmhirn:
Aber nicht, weil das ChancenWerk sich das so ausgedacht hat, sondern weil die Vorgaben so sind. Auch Menschen mit Autismus, die sich so überwinden müssen, rauszugehen, würden sehr gut mobil von daheim arbeiten. Aber das dürfen sie halt nicht.
Alexandra Goedeke:
Also wird es dann noch ewig dauern bis zur Semi-Inklusion?
Anja Dirmhirn:
Ja. Das ist verrückt, gell? Aber in Corona ging das dann, oder? Davon habe ich ja viel gehört. Aber da war ich ja noch nicht hier. Fernbetreuung geht nicht. Aber bei Corona ging es. Jetzt geht es nicht mehr, wo sich alles normalisiert hat.
Alexandra Goedeke:
Ja, das ist es eben. Ich würde auch so gerne wieder zu meiner Familie nach Hannover zurückziehen. Es wäre so schön, wenn ich näher bei meiner Familie wohnen und weiter für die Pfennigparade in München arbeiten könnte. Aber das geht leider auch nicht.
Anja Dirmhirn:
Das haben Sie wahrscheinlich schon alles durchgesprochen?
Alexandra Goedeke:
Ja. Ich hoffe, dass sich mit der neuen Geschäftsführung in dieser Hinsicht einiges ändert. Aber Sie können ja auch nicht zaubern.
Anja Dirmhirn:
Ja. Das ist es halt. Aber sind Sie denn der Meinung, dass es Werkstätten weiterhin braucht? Oder dass alle Personen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ihre Anstellung finden könnten, wenn man die Werkstätten abschafft?
Alexandra Goedeke:
Zu diesem Thema gibt es einiges an Literatur. Insbesondere von Mitmenschen, die teils auch selbst betroffen sind und die das Konzept der Werkstätten kritisieren. Ich muss sagen zu Recht. Aber das ist so ähnlich wie mit den Förderschulen. Wenn man sie komplett abschaffen würde, wäre auch für die Personengruppe kein Kompromissweg da, die den geschützten Arbeitsraum braucht.
Anja Dirmhirn:
Ja. Dann entsteht ein Vakuum, aber kein spezielles Angebot für Menschen mit Behinderungen. Für manche wäre es okay, aber für manche eben auch nicht.
Alexandra Goedeke:
Sie hatten vorhin sowohl die werkstattbeschäftigten Kollegen und Kolleginnen als auch die Angestellten erwähnt. Was ist Ihnen besonders wichtig im Umgang miteinander als Team?
Anja Dirmhirn:
Mein absolutes Credo ist das respektvolle Miteinander. In Führungsschulungen bekommt man immer wieder gesagt: 50 % des Erfolgs einer guten Führungskraft macht deren fachliche Kompetenz aus, und die ganze andere Hälfte eine gute Kommunikation. Wie geht man miteinander um? Wie spricht man miteinander? Wie hört man sich zu? Das gilt meiner Meinung nach für alle, mit denen man zu tun hat. Ob das nun Tarif-Angestellte sind, Werkstatt-beschäftigte oder Firmen-Kunden außerhalb der Werkstatt. Dabei kommt es darauf an, wie man miteinander spricht: Auf Augen-Höhe, mit Wert-Schätzung, mit echtem Interesse an einer Ko-operation und an der Zusammenarbeit.
Der Rest sind die fachlichen Inhalte. Dabei sind mir Augen-Höhe und Wert-Schätzung besonders wichtig. Das fängt beim Hausmeister an und reicht bis hin zum Vorstand. Im Schulbereich beginnt es in der Grundschule bis hin zur Fach-Oberschule. Genauso gilt es für die Werkstatt bis hin zum betreuten Wohnen. Schließlich sind wir alle Menschen. Jeder hat Stärken und auch Grenzen. Und auf den Umgang damit kommt es an.
Alexandra Goedeke:
Das passt doch perfekt zu meiner letzten Frage: Firmen lassen sich ja in bestimmte Firmenkulturen einordnen. Welcher würden Sie uns zuordnen?
Bei uns ist ja so ziemlich von allem etwas vorhanden. Von der Dorfkultur haben wir das kleine, beschauliche Arbeitsumfeld. Jeder hilft jedem, und der eine kann auch mal für das einspringen, was die andere normalerweise macht. Außerdem gibt es hier relativ flache Hierarchien.
Aus der Stadtkultur kennen wir den hohen Anteil an Bürokratie-Aufwand: Spezielle Vorgänge können nur über ganz bestimmte Formulare beauftragt werden. Und was hier mitunter mit den Kostenträgern und dem Fahrdienst abgeht, brauche ich gar nicht zu erwähnen.
In der Wanderkultur wechseln ganz oft Mitarbeiter den Fachbereich. Oder sie kommen und gehen relativ schnell wieder. Das ist hier nicht deshalb der Fall, weil viele Leute ziemlich schnell die Nase voll haben. Aber hier wird ja ganz oft der Fachbereich gewechselt, wenn ein Gruppenleiterposten frei wird. Und dann wird ja manchmal für die Gruppenleitung ein Bereich gewählt, für den man noch keine Erfahrung mitbringt. Aber über die gFAB-Ausbildung lassen sich nötige Kompetenzen ja schnell erwerben. Und bei den Erprobungen gilt es genauso.
Und dann gibt es noch die Dschungelkultur. Das totale Chaos, das sich meistens aus einer Dorfkultur entwickelt. So etwas haben wir hier ja eigentlich nicht.
Anja Dirmhirn:
Ich tue mich mit der Einordnung wirklich noch ein bisschen schwer. Vielleicht auch, weil ich noch nicht so lange dabei bin. Und weil die ersten Monate etwas untypisch waren. Weil der zweite Geschäftsführer gefehlt hat. Wahrscheinlich sind wir eine Mischung. Ich hoffe, dass es ein bisschen was von der Dorfkultur hat, wo jeder jedem hilft. Ich habe auch das Gefühl, dass es bei uns nicht so starke Hierarchien gibt. Dass sich selbst der Vorstand, die Geschäftsführung und die Mitarbeitenden auf Augenhöhe begegnen.
Ich glaube und hoffe, dass recht viel Dorfkultur dabei ist. Aber natürlich gibt es auch Stadtkultur-Anteile. Die sind aber nicht unbedingt selbst gewählt. Wir sind auf die Zusammenarbeit mit den Kostenträgern angewiesen. Deshalb müssen wir bestimmte Dinge entsprechend dokumentieren. Und wie Sie so sagen, ist anscheinend auch ein bisschen Wanderkultur dabei. Wenn hier irgendwo ein Gruppenleiter fehlt, kommt er meist von einer unserer anderen Gruppen. Weiter kann ich Ihnen dazu noch nichts sagen.
Ich bin ja erst seit Kurzem hier in der Geschäftsführung tätig. Die Zusammenarbeit mit dem zweiten Geschäftsführer muss sich auch erst noch einspielen.
Sie haben viele interessante Fragen an mich gestellt. Am besten treffen wir uns in einem Jahr wieder. Ich vermute, wenn sich hier alles stabilisiert hat, kann ich Ihnen auf alles eine Antwort geben.